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Diese drei Fachausdrücke im Zusammenhang zu betrachten und dem Gedächtnis einzuprägen, lohnt sich wohl. Daß man die drei Dinge, die sie bezeichnen, auseinanderzuhalten lernte, ist ein ungeheurer Fortschritt der Vererbungswissenschaft. Wenn der Züchter die drei Dinge nicht ebenfalls auseinanderzuhalten lernt, dann straft er sich selbst, und zwar empfindlich. Für den Leser dürfte dies Lernen nicht mehr schwer fallen. Im vorstehenden war schon von alldem die Rede.
Bei allen drei Bezeichnungen handelt es sich um äußerlich wahrnehmbare Veränderungen der Zuchtobjekte, und dazu gehören ja auch die guten und schlechten Eigenschaften, um die der Züchter, sich bemüht. Es handelt sich, wie man auch sage kann, um Veränderungen am Phänotypus (zunächst). —
Modifikationen nennt man diese wahrnehmbaren Veränderungen dann, wenn sie nicht erblich sind und nur hervorgerufen wurden durch die besondere Lebenslage, in der das Zuchtobjekt sich befand. Wenn bei den Nachkommen diese Lebenslage nicht mehr wirkt, dann verschwinden auch wieder die Abänderungen. Der Genotypus wurde ja nicht Verändert.
Beispiel: die rote chinesische Primel erblüht weiß, wenn sie im Warmhaus gezogen wird. Dieses Weiß ist nicht erblich, sondern nur eine Modifikation.
Wenn die weibliche Bienenlarve mit gutem Futter genährt wird, nimmt sie Königinneneigenschaften an, sonst wäre sie Arbeiterin, geworden. Diese Königinneneigenschaften sind nicht erblich, sondern insofern nur Modifikationen, als die Tochter dieser Königin im allgemeinen wieder Arbeiterin wird. —
Kombinationen nennt man diese äußerlich wahrnehmbaren Veränderungen dann, wenn sie erblich sind und auf einer Veränderung in der Erbanlage beruhen, nämlich auf einer Neuzusammenstellung, einer Neukombination von Erbfaktoren. Eine (Neu-)Kombination wird möglich durch die Reifungsteilung und wird endgültig vollzogen bei der Befruchtung. Demnach sind alle beim Mendeln auftretenden Eigenschaften Kombinationen.
Beispiel: Die Rosafarbe bei der Wunderblume, die schwarzgelben Panzerringe bei der Biene.
Eine Kombination kann auch dann vorliegen, wenn sie ganz unerwartet, also noch nie dagewesen und ganz vereinzelt auftritt, z.B. die röhrige weiße Löwenmaulblüte der Abb. 15 (F1 Nr. 16) oder das ganz helle Weizenkorn unter den rötlichen Körnern des Beispiels S. 81. —
Mutationen nennt man, wie wir aus Kapitel 42 schon wissen, eine äußerlich wahrnehmbare Veränderung, wenn sie ebenfalls erblich ist, also ebenfalls auf einer Abänderung des Genotypus beruht, aber nicht auf der gewöhnlichen durch Neukombination, sondern auf einer außergewöhnlichen, plötzlichen und mehr gewaltsamen, über die wir sonst nichts Näheres wissen.
Beispiel: Die Veränderungen an Kartoffelkäfern, hervorgegangen aus Eiern, die mißhandelt worden waren. —
Aus dem bloßen Aussehen läßt sich gar kein Schluß ziehen, ob eine Modifikation, Kombination oder Mutation vorliegt, sondern nur der Stammbaum (der Vererbungsversuch) gibt Auskunft.
Für den Züchter ist besonders wichtig die scharfe Unterscheidung zwischen Modifikation und Kombination. Abänderungen, die nicht erblich sind (Prüfung mehrerer Generationen!) können nie Kombinationen sein. Auch hier stoßen wir wiederum auf die grundwichtige, aber oft übersehene Unterscheidung zwischen erblichen und nicht erblichen Eigenschaften.
Will der Züchter gute Eigenschaften erhalten, so nehme er sich in acht vor den Modifikationen und halte sich nur an Kombinationen und Mutationen.
Will er die guten Eigenschaften auf Kosten der schlechten vermehren, halte er sich insbesondere an die Kombinationen (Kombinationszucht).
Will er einzelne gute Eigenschaften steigern, dann halte er sich, wiederum an die Kombinationen, übersehe aber nicht günstige Überraschungen durch Mutationen.
Um die Modifikationen kümmere sich der Praktiker nur, insofern, als er seinen Zuchttieren immer die beste Lebenslage zu bereiten sucht; schaden kann das nie.
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Um unsere wichtige Unterscheidung am Bienenvolk zu erproben und zu verwerten, müssen wir uns einmal die Lebenslage, die Umwelt des Bienenvolkes näher ansehen, insbesondere uns klarmachen, welche (abnormen) Einflüsse das Bienenvolk treffen können. Die Dinge liegen hier wiederum recht eigenartig. Die Biene ist ein Nutztier, vom Menschen gehegt wie ein Haustier. Der Mensch greift in ihre dynastischen Angelegenheiten und in ihre Familien- und Bevölkerungspolitik ein, indem er Königinnen entthront und austauscht, indem er umgelarvte Brut unterschiebt und auf die Gattenwahl Einfluß übt durch Einrichtung von Belegplätzen usw. Der Mensch greift ferner mit der Zeit mehr und mehr ein in die Ernährungs- und Bevölkerungspolitik, durch Wandern zu bestimmter Zeit und in besondere Trachtgebiete, durch Triebfütterung, durch Verstärkung der Völker, durch Absperren der Königin, teilweise auch durch künstliche Fütterung und die Wahl der Wohnungen. Er greift ein zum Teil in die Wärmeökonomie, durch die Wahl des Standorts und der Bienenwohnung, durch die Art der Überwinterung (z.B. Einpacken, Einmieten usw.).
Das sind erhebliche Eingriffe, aber sie treffen mehr doch nur das Volk als Ganzes; das Einzeltier wird nur ganz indirekt davon getroffen. Insbesondere die Königin wird im allgemeinen so selbstlos von den Bienen gepflegt, daß sie kaum Tage der Not kennt; die chemischen und physikalischen (Wärme-) Einflüsse schwanken bei der Königin kaum. Das gilt nicht nur für die Königin, sondern auch für die heranwachsende Brut. Besonders schlechte Tage erlebt die Brut nicht, denn zuvor wird der Bruteinschlag eingeschränkt, oder die junge Brut, die nicht ernährt und erwärmt werden kann, wird herausgeworfen. Die geschlechtliche Inanspruchnahme der Königin schwankt zwar, jedoch nur in strengster Abhängigkeit von der Ernährung (Tracht); nie findet hier eine große Ausgabe statt, ohne eine gute Einnahme. Die Drohnen entstehen nur in den schönsten Wochen des Bienenjahres, und ihre geschlechtliche Funktion fällt zusammen mit dessen Höhepunkt. Ist das Bienenjahr ein Jahr der Not, dann verschwinden die Drohnen, ohne überhaupt Gelegenheit gefunden zu haben, Nachkommen in die Welt zu setzen.
Zu all dem haben die Bienen das Vermögen, Gegen maßregeln zu treffen. Gegen tiefe Temperatur können die Bienen sich schützen dadurch, daß sie durch erhöhte Ernährung und Bewegung (Brausen) Wärme erzeugen und sich enger, zusammenschließen. Gegen schmale Kost sind die Bienen zunächst versichert durch ihre Vorräte an Kohlenhydraten (Honig) und Eiweißen (Pollen).
Man spricht zwar mit Recht von dem Einfluß der. Witterungs- und der Trachtverhältnisse. Ganz wehrlos sind die Bienen gegenüber beiden Faktoren aber nicht, und beide Faktoren wechseln. Am gleichen Ort dürften sie sehr selten gleichmäßig unverändert bleiben während der Regierungszeit ein und derselben Königin. Infolgedessen steht auch die Nachkommenschaft ein und derselben Königin nicht unter den gleichen Bedingungen, und auf alle Fälle ist die Nachkommenschaft, die unter den Einwirkungen schlechter Außenbedingungen stand, weniger zahlreich. Denn in schlechten Tagen und Monaten legt die Königin weniger Eier, und es entwickelt sich weniger Brut.
Aus all dem sehen wir, daß die Einflüsse der Lebenslage zum Teil schon infolge der Pflege der Menschen gemildert werden, in jedem Falle, der Hauptsache nach, durch die Staatsordnung des „Bien“, die gesellige Lebensweise. Man kann geradezu sagen: Obwohl die Bienenmutter Eier legt, die eine umständliche Entwicklung durchmachen außerhalb des Mutterleibs, und die sogar mehrere sensible Perioden (vgl. oben den Mutationsversuch mit Kartoffelkäfern) aufweisen — nämlich das Eistadium mit der Periode der Befruchtung, Reifung und ersten Entwicklung, schließlich auch das jüngste Larvenstadium, später dann, unmittelbar nach der Verdeckelung der Brut, die Zeit der Verwandlung in die Puppe mit der fast vollständigen Umlagerung des lebenden Körpermaterials —, so liegt der Fall hier doch kaum anders als bei lebendig gebärenden Tieren. Die Tiere werden im einen Falle durch „den Bien“, im anderen Falle durch die Mutter vor schroff wirkenden Außeneinflüssen geschützt. Kann man aber vielleicht durch mehr oder weniger künstliche Eingriffe, durch Experimente, die Lebenslage der heranwachsenden Bienen wesentlich verändern ?
Hier steht hindernd im Wege, daß bis jetzt die Aufzucht der Bieneneier nicht gelungen ist ohne die Mitwirkung der Arbeiterinnen, der Brutbienen oder Ammen. Ob es je gelingen wird, ist sehr zweifelhaft. Wenn man aber die Mitwirkung der Arbeiterinnen braucht, dann ist man sehr behindert, was dem Imker nicht näher erläutert werden muß. Versuche, etwa mit verändertem Luftdruck, sind dann ganz ausgeschlossen.
Wesentlich größere Freiheit erhält man von dem Augenblick ab, wo die Brut bedeckelt ist, weil von da ab die Ernährung durch die Ammen wegfällt, sowohl bei der Arbeiterinnen- und Drohnen- als auch bei der Königinnenbrut. Aber gerade in der Zeitspanne gleich nach dem Bedeckeln sind die Zellinsassen in einem sehr kritischen Stadium. Bei der geringsten Mißhandlung gehen die Larven gar zu leicht mit Tod ab, und man hat das Nachsehen, ob etwa Mutationen entstehen.
Auch bei den männlichen Keimzellen ist eine Beeinflussung nicht leicht. Die Reifungsteilungen beginnen, wie schon, einmal erwähnt, bald nach der Verpuppung der Drohne, alsbald nach der Verdeckelung der Drohnenzellen, in den Drohnennymphen, deren Augen sich schwach zu färben beginnen. Wenn die Tiere ausgeschlüpft sind, dann sind die Spermatozoen ausgebildet. Würde man aber diese Drohnenbrut mißhandeln, dann ist zu befürchten, daß gar keine oder körperlich insgesamt geschwächte Drohnen schlüpfen, und letztere hätten nie Aussicht, beim Begattungsflug zu obsiegen. Würden sie trotzdem die Prozedur gut überstehen, dann wäre also immer noch die Aussicht gering, daß gerade die Spermatozoen der mißhandelten Drohnen (alle Drohnen der Umgegend oder auch nur des Dröhnerichs kann man doch nicht mißhandeln) in das Rezeptakulum gerade der Königin gelangen, die ich beobachten kann. Wollte man die Spermatozoen mißhandeln, wenn sie schon in der Samenblase der Königin aufgenommen sind, dann müßte zugleich und il erster Linie die Königin leiden (vgl. S. 10). Also:
Die Lebenslage der heranwachsenden Bienen und der Bienenkönigin zeichnet sich durch große Gleichmäßigkeit aus.