Bienenzüchtungskunde

von Ludwig ARMBRUSTER
Theodor Fisher Verlag  —  1919

 

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Belichtetes blaues D Zeichen

as Würfelspiel der Chromosomen

Wenn wir uns sodann an die theoretische Erklärung machen, so kommt es vor allem darauf an, sich ganz klar zu werden, welcher Art die Keimzellen sind, die das F1-Tier bilden kann.  Abb. 14 möge uns hier behilflich sein.  Die Anlagen für Schwarz und Nichtschwarz stecken in einem bestimmten Chromosomenpaar; die Anlagen für Borstig und Nichtborstig stecken offenbar in einem anderen Chromosomenpaar.  Es ist dies eine vorläufige Annahme, die sich ohne weiteres nahelegt.  Die Probe, daß diese Annahme richtig ist, wird bald fertig vorliegen.

Das schwarze, glatte P-Tier liefert ein Chromosom mit der Anlage für Schwarz, und ein Chromosom mit der Anlage für Glatt.  Das weiße, borstige P-Tier liefert ein Chromosom mit der Anlage Weiß, und ein Chromosom mit der Anlage Borstig.  Der F1-Bastard enthält also ein Chromosomenpaar und ein Chromosomenpaar , daneben dann noch weitere Chromosomenpaare, die uns nicht weiter interessieren, (die deswegen wie bei Abb. 10 punktiert sind).

Bei der Reifung der Keimzellen in den F1-Tieren sind die Chromosomen zu einer Schlachtreihe aufgestellt.  Diese Aufstellung kann das eine Mal folgendermaßen sein:

a)   das andere Mal aber
folgendermassen:
b)  

Das eine Mal, a), kommt also, wie leicht ersichtlich, neben das Chromosom für Schwarz das Chromosom für Glatt, im anderen Falle, b), aber das Chromosom für Borstig zu liegen, ganz wie der Zufall es will.  Das eine ist ja ebenso gut möglich wie das andere; darum werden auch beide Fälle gleich häufig verwirklicht sein.

Wenn bei der Reifungsteilung dann der trennende Schnitt ausgeführt wird, müßten viererlei reife Keimzellen (mit der halbierten Chromosomenzahl) entstehen:

a) 1.    b) 3.   
2.    4.   

Natürlich bilden auch hier wiederum sowohl die F1-Weibchen diese 4 Arten reifer (Ei-) Keimzellen als auch die F1-Männchen diese 4 Arten reifeir (Samen-) Keimzellen.

Schreiben wir die vier so erhaltenen männlichen () Keimzellen untereinander, und schreiben wir daneben die vier so erhaltenen weiblichen () Keimzellen:
a) 1.    1.   
2.    2.   
b) 3.    3.   
4.    4.   

dann kann der Leser auf dem Papier ausprobieren, wie viele Befruchtungen (Kombinationen) möglich sind, indem er jede Keimzelle links durch Bleistiftstriche mit jeder Keimzelle rechts verbindet.  Er wird finden, daß er 16 Striche ziehen kann: 16 Kombinationsmöglichkeiten liegen vor.  Damit beginnen wir zu verstehen, warum auf Abb. 12 die Zahl 16 eine so wichtige Rolle spielt.

Wenn wir nun die Sache durch Erbformeln ausdrücken, dann wählen wir:

für den Buchstaben S,
für den Buchstaben s,
für    den Buchstaben b,
für    den Buchstaben B.

Die Aufstellung der Chromosomen in den reifen Keimzellen der F1-Tiere ist dann entweder:

 
a)
 
Sb

sB
 
oder
 
 
b)
 
SB

sb

Die viererlei Keimzellen die dabei entstehen können, lauten dann:
a) 1. Sb   b) 3. SB
2. sB   4. sb
und die Befruchtung auf dein Papier kann dann der Leser mit dem Bleistift ausführen an den Schemas:
 
a) 1. Sb   1. Sb
2. sB   2. sB
b) 3. SB   3. SB
4. sb   4. sb

Die 16 möglichen Befruchtungen kann er aber noch besser vollziehen mit Hilfe des Schachbrettmusters, das an dem Rande oben die männlichen (), an dem Rande links die weiblichen () Keimzellen beigefügt enthält.  Aus jeder der 16 Befruchtungen entsteht ein Tier, dessen Aussehen wir prophezeien können, weil wir wissen, daß S über s dominiert (also nicht nur die SS-Tiere sind schwarz, sondern auch die Ss-Tiere) und B über b dominiert (also nicht nur die BB-Tiere sind borstig, sondern auch die Bb-Tiere).  Gerade nur die ss-Tiere sind hell und nur die bb-Tiere sind glatt.

Keim-
zellen
von F1
SB Sb sB sb Männliche Zeichen
SB SSBB
Schwarz
Borstig
(1)
SSBb
Schwarz
Borstig
(3)
SsBB
Schwarz
Borstig
(5)
SsBb
Schwarz
Borstig
(7)
 
Sb SSBb
Schwarz
Borstig
(2)
SSbb
Schwarz
Glatt
(10)
SsBb
Schwarz
Borstig
(9)
Ssbb
Schwarz
Glatt
(12)
sB SsBB
Schwarz
Borstig
(4)
SsBb
Schwarz
Borstig
(8)
ssBB
Hell
Borstig
(13)
ssBb
Hell
Borstig
(15)
sb SsBb
Schwarz
Borstig
(6)
Ssbb
Schwarz
Glatt
(11)
ssBb
Hell
Borstig
(14)
ssbb
Hell
Glatt
(16)
Weibliche Zeichen   Pfeildiagonalezeichen

Die Nummern in den unteren Ecken der kleinen Felder entsprechen den Nummern der F2-Tiere in der Abb. 12.  Auf der Diagonale des Schachbretts, die durch den Pfeil angedeutet ist, liegen die vier doppeltrassenreinen Tiere Nr. 1, 10, 13 und 16 (die vier „Doppelbastarde“ genannten liegen auf der anderen Diagonale: Nr. 6, 7, 8 und 9).  Alle übrigen Tiere sind paarweise gleich und liegen symmetrisch zur Pfeildiagonale rechts und links.

Weil auf der Pfeildiagonale nur rassenreine Tiere liegen, und zwar 4 Stück, müssen wir mindestens 4 Phänotypen erhalten.

Die Deutung der Tiere im Schachbrettmuster ergibt, daß wir nicht mehr als 4 Phänotypen erhalten, und zwar zählen wir im Schachbrett 9 Tiere vom Phänotypus Schwarz, Borstig, 3 vom Phänotypus Schwarz, Glatt, 3 vom Phänotypus Weiß, Borstig, und eines vom Phänotypus Hell, Glatt (s. o. Abb. 13 S. 48).

Damit ist das merkwürdige Ergebnis von F2, diese schon etwas verwickeltere Aufspaltung, verständlich gemacht.  Den Schlüssel zum Geheimnis bildet die Annahme, daß das Anlagenpaar Schwarz-Hell und das Anlagenpaar Borstig-Glatt in zwei getrennten Chromosomenpaare eingeschlossen sind, die bei der Reifung vollständig unabhängig voneinander ihre eigenen Wege gehen.

Jeder Züchter sollte sich das ein für allemal dem Gedächtnis einprägen; womöglich sollte auch jeder den Beweis mit durchgedacht haben.  Jedenfalls haben wir festzustellen:

Ein und dasselbe Tier (Drohne ausgenommen) kann zu gleicher Zeit sehr wohl rassenrein und Bastard sein.  Die Worte „rassenrein“ (= homozygot) und verbastardiert (= heterozygot) bedürfen immer eines Zusatzes (die Eigenschaften betreffend, die man im Auge hat).

Belichtetes Zeile
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Belichtetes blaues W Zeichen

as ist rassenrein, und wie findet man gewünschte Eigenschaften rassenrein ?

Wie oft führt der Züchter nicht das Wort rassenrein im Munde! Wir lernen hier, von „rassenrein schlechtweg“ kann man eigentlich so gut wie nie reden.  Es wäre ein ganz unerhörter Zufall, wenn unter all den Millionen (höheren!) Tieren irgendwo auf dem Erdenrund ein ganz und gar rassenreines Tier leben würde.  Wir dürfen nämlich nie von rassenrein schlechtweg reden, sondern nur von rassenrein in diesem oder jenem Merkmal.

Das F1-Tier Nr. 1 ist rassenrein in bezug auf zwei Eigenschaften, in bezug auf die Fellfarbe und in bezug auf die borstige Fellbeschaffenheit; das Tier hat aber noch eine Unmenge anderer erblicher Eigenschaften, innerer und äußerer.  Ein schlechtweg rassenreines Tier würde nur dann vorliegen, wenn es in bezug auf alle vererbbaren inneren und äußeren Eigenschaften, rassenrein wäre.  Ein solch schlechtweg rassenreines Tier, frei von der Natur gezüchtet, wäre ein ganz unerhörter Zufall.  So ungeheuer oft man in der Königinzucht–Literatur von reinen Tieren lesen kann, von rein deutscher Rasse usw., noch nie ist es dem Verfasser begegnet, daß diese Unterscheidung, diese Einschränkung des Begriffes rassenrein gemacht worden wäre.

Oben mußten wir immer reden von „rein Rot“, „rein Hell“ oder „rassenrein Glatt“, auch von „doppelt rassenrein“, wir redeten aber nie von rassenrein schlechtweg.  Wie es sich verhält mit „rein Deutsch“, „rein Italienisch“ bei Bienen, darüber müssen wir unten noch ausführlicher handeln, ganz besonders auch über die ganz eigenartige Ausnahmestellung der Drohnen in unserer Frage.

Es dürfte jetzt auch verständlich sein, was wir mit „Doppelbastard“ und mit „doppelt rassenrein“ sagen wollten.

Wenn die Eigenschaftspaare im allgemeinen ganz unabhängig voneinander sind, müssen sie auch ganz unabhängig voneinander aufspalten.  Wenn ich nur auf eine Eigenschaft achte, dann muß, wie im Schneckenbeispiel oder im Mirabilis-Fall, die Zahl 4 eine wichtige Rolle spielen.  Das finden wir in der Tat.  Wenn wir von den 16 F2-Tieren der Meerschweinchen–Abb. 12 nur auf die Farbe achten, dann finden wir, daß von den 16 Nachkommen 3/4 schwarz sind, nämlich die F2-Tiere Nr. 1–12, und 1/4 hell, Nr. 13–16 (Schwarz dominiert, wie beim Schneckenbeispiel, über die Eigenschaft Hell).  Wenn wir nur auf die Pelzform achten, dann finden, 3/4 der F2-Tiere sind borstig (Nr. 1–9, 13–15), und 1/4 glatt (Nr. 10, 11, 12 und 16).

Noch schöner finden wir dies bestätigt, wenn wir die F3-Nachkommenschaft einzelner, ingezüchteter F2-Tiere betrachten auf der Abb. 12.  Das F2-Tier Nr. 2 ist z. B. rassenrein Schwarz (SS), also rassenrein hinsichtlich der Pelzfarbe, jedoch Bastard hinsichtlich der Pelzform (Bb).  Daß alle Tiere schwarz sein müssen, ist selbstverständlich, darauf brauchen wir sozusagen gar nicht mehr zu achten.  Hinsichtlich der einen Eigenschaft der Pelzform muß eine Aufspaltung erfolgen, und zwar natürlich im Verhältnis 3/4 Borstig zu 1/4 Glatt.

Zu erklären bleibt vielleicht noch die Nachkommenschaft der F2-Doppelbastarde Nr. 6–9.  Sie sind alle untereinander gleich.  Wenn ich einen von diesen durch Inzucht (also durch Kreuzen mit einem isogenen Geschwister) weiter fortpflanze, dann liegt genau der gleiche Fall vor, wie wenn ich zwei F1-Geschwister mit einander kreuze.  Ihre Nachkommenschaft muß, wie die Nachkommenschaft von F1, bestehen aus einer langen Reihe, die nach Sechzehnteln aufgespalten ist.

Es sei noch hervorgehoben, daß auch hier bei Doppelbastardierung und nachfolgender folgerichtiger Inzucht die doppeltrassenreinen Tiere von Generation zu Generation in immer größerer Zahl wieder herausspalten.  In F1 waren es 0 doppelt rassenreine, in F2 waren es 4 von 16, also 1/4 doppelt rassenreine, in F3 sind es 144 von 256, also 9 Sechzehntel, demnach schon etwas mehr als die Hälfte, usf.

Auch in diesen Fällen hat die Inzucht eine doppelte Bedeutung:

  1. In theoretischer Hinsicht offenbart sie uns die Erbgutgeheimnisse eines Bastardes.  Denn bei genügend großer Zahl der Inzuchtnachkommen erhalten wir hier zwar nicht die Formel der Keimzellen (und damit die Erbformel des Bastardes selbst) vor Augen gehalten, wohl aber alle möglichen Kombinationen der Keimzellen.  Wenn aber einmal die inneren Felder eines Schachbrettes ausgefüllt sind, dann kann man leicht auch die Buchstaben der Randfelder einsetzen.
  2. In praktischer Hinsicht liefert uns auch hier die Inzucht eine ganz beträchtliche Auswahl von Typen, aus denen der Züchter auszuwählen hat, um zu seinen Nutztieren mit gewünschten Eigenschaften in reinem, vererbbarem Zustande zu kommen.

Ferner lernen wir in diesem Falle, daß gewöhnlich die absonderlichsten Tiere, solche, die ganz vereinzelt auftreten (obschon sie genau wie die übrigen großgezogen sind, bei gleicher Lebenslage!), am allerehesten „rassenrein“ sind hinsichtlich der Absonderlichkeit oder, wie wir auch sagen können, „relativ rassenrein“.  Das glattweiße Meerschweinchen tritt durchschnittlich unter 16 Tieren nur einmal auf; es liefert sicher nur wieder glattweiße Nachkommen, wenn ich es kreuzen kann mit einem isogenen, also wieder glatthellem Tiere.

Beim Züchten unterscheide man scharf die einzelnen Eigenschaften.  Rassenrein schlechtweg ist ein Tier höchst selten (Drohne ausgenommen).  Relativ rassenreine Lebewesen erhalten wir am ehesten durch Inzucht, dabei sind wieder die absonderlichsten am wahrscheinlichsten rassenrein (hinsichtlich der absonderlichen Eigenschaften).

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